Wandernde Steine
Rätsel im Death Valley
An diesen Steinen beißt sich die Wissenschaft die Zähne aus: Im Death Valley gibt es bis zu 350 Kilo schwere Felsen, die scheinbar von selbst über den Wüstenboden wandern – Spuren im Sand zeugen davon. Doch wodurch werden die dicken Brocken über die Ebene bewegt?
Seltsames geht vor im Tal des Todes. Dort, wo Leben kaum möglich ist, die Bedingungen eher an die Oberfläche des Mars erinnern als an einen Nationalpark auf der Erde, stellen Spuren im Wüstenboden Wissenschaftler vor ein Rätsel. Über 160 Steine liegen über acht Quadratkilometer verstreut im sogenannten Racetrack Playa, auf dem Grund eines ehemaligen Sees, und vagabundieren offenbar von selbst über den brüchigen Sedimentboden hinweg. Zwischen ihnen nichts, kein weiteres Geröll, keine Spuren von Mensch und Tier.

Kein Mensch hat bis heute mit eigenen Augen beobachten können, wie sich die Steine bewegen. Einziger Hinweis auf ihre geheimnisvolle Fortbewegung liefern die Spuren, die sie hinter sich her ziehen. Einige der Rillen sind bis zu tausend Meter lang und verlaufen kerzengerade über den Wüstenboden. Andere beschreiben einen Zickzack-Kurs, und wieder andere ändern ihre "Fahrt" abrupt um neunzig Grad. Manche verlaufen sogar bergauf. Seit nunmehr fast einem Jahrhundert beschäftigt das Phänomen der wandernden Steine im Death Valley die Wissenschaft - und fast genauso viele Theorien wurden aufgestellt und wieder verworfen.
Bouleplatz für Außerirdische?
In den Sechziger- und Siebzigerjahren wurden sogar Außerirdische ins Spiel gebracht. Für kurze Zeit fand die Idee Steine schiebender Aliens, die uns mit den Zeichen im Wüstenboden Botschaften hinterlassen sollten, großen Anklang. Und beinahe überdeckte die Sensationslust eine erste, ernstzunehmende heiße Spur: Ende der Sechzigerjahre untersuchte der Geologe Bob Sharp die Steine. Anhand einiger ausgewählter Objekte kam er zu dem Schluss, dass Winterstürme die Brocken über die regennasse Ebene geschoben haben müssten - und das um mehrere Meter innerhalb weniger Minuten. Leider gelang es Sharp nie, seine Theorie zu beweisen. Erschwert wurde die Arbeit der Forscher zusätzlich durch die strengen Regeln zum Schutz des Naturreservats. Demnach dürfen bis heute keine Instrumente und Kameras zur Überwachung der Steine dauerhaft montiert werden.
Dank des technischen Fortschritts können sich Wissenschaftler die geheimnisvollen Steine heute leichter untersuchen. Die Wissenschaftlerin Paula Messina von der San Jose State University etwa untersuchte 1996 die Brocken mit einem GPS-Gerät. So konnte sie zumindest erstmals die genaue Bewegung der Steine nachvollziehen. Ihrer Theorie nach verwandeln heftige Regenfälle im Winter den Lehmboden in eine Rutschbahn. Wasser aus den umliegenden Bergketten fließt auf die Ebene, gleichzeitig peitschen Stürme durch die Täler und bilden regelrechte Windkanäle. Beide Naturgewalten zusammen könnten ihrer Ansicht nach die Steine bewegen. Außerdem liefert der tonige Boden dazu den passenden Untergrund: Bei ausreichender Feuchtigkeit saugt er sich voll Wasser, auch unter den Felsbrocken, und verwandelt die knochentrockene Wüste in Lehm. Dieser wirkt wie eine Stauschicht und hindert das Wasser daran, schnell zu versickern.
Aquaplaning in der Wüste
Auf diese Weise könnte eine Art Aquaplaning-Fläche entstehen, auf der die Steine durch starke Winde über die Ebene geschoben werden. Dafür spricht, dass sich die Richtung der Spuren an den topographischen Gegebenheiten der Umgebung orientiert. Das heißt: Dort, wo Winde aus verschiedenen Richtung aufeinandertreffen, zeigen die Steine ihren wilden Zickzack-Kurs. Wo aber der Wind vornehmlich aus einer Richtung bläst, entstehen die geraden Linien. Nach Wind, Wasser und Lehmboden führte Messina schließlich noch einen weiteren Faktor ins Feld: Bakterien. Die Organismen schlummern während der Hitzemonate im Erdboden, bis sie von Regenfällen zum Leben erweckt werden. Dabei bilden sie einen organischen "Schmierfilm", der die Reibung zwischen Boden und Stein weiter verringert.
Die Forschung geht weiter
Allerdings: Experimente im Labor haben ergeben, dass von etwa 800 Kilometer pro Stunde nötig wären, um einen der Brocken über den nassen Lehmboden zu bewegen. Außerdem ist unklar, warum weder Form noch Gewicht der mysteriösen Steine im Death Valley Einfluss auf die Spuren haben. Eine sieht aus wie die anderen - und sie sind beispielsweise auch nicht rillenförmiger, wie man es bei runderen Steinen erwarten würde.
Wissenschaftler vermuten deshalb heute eine Kombination verschiedener Faktoren. Zu Wasser, Wind und Bodenbeschaffenheit gesellen sich auch extreme Temperaturschwankungen. So könnte auch eine Eisschicht dazu beitragen, die Steine über den Boden schliddern zu lassen. Bewiesen ist das alles nicht. Derzeit läuft ein neues Experiment der NASA, bei dem die Steine mit GPS-Empfängern versehen wurden und das genauer Aufschluss geben soll.